Jakobsweg Via Podiensis

Der Streckenabschnitt vom Le Puy-en-Velay nach Saint-Jean-Pied-de-Port an der spanischen Grenze wird Via Podiensis genannt und ist ca. 730 km lang, also länger als die bisher zugelegte Strecke. Aber mit der Zeit denkt man nicht mehr in Kilometer, sondern nimmt jeden Tag einzeln.

Zwischen Le Puy-en-Velay und Saint-Jean-Pied-de-Port begegnete ich auch viel mehr Pilger, mehrheitlich aus Frankreich, vereinzelt auch aus Deutschland und Österreich. Topografisch war dieser Abschnitt etwas einfacher zu gehen als jener in der Schweiz oder der Via Gebennensis. Die Streckenführung ist durch sehr ländliches Gebiet, als Übernachtungsmöglichkeit boten sich wiederum die Gîtes d’etapes an, die es nun immer vermehrt gab. Teilweise übernachtete ich in sehr kleinen Ortschaften, jedoch etwas fehlte nie, ein Coiffeur und eine Bäckerei. Falls es noch ein drittes Geschäft gab, war dies in der Regel eine Metzgerei. Der Coiffeur ist bei mir nicht mehr notwendig, aber die Bäckereien und Metzgereien schätzte ich sehr, da irgendwie immer Appetit vorhanden war. Die Bäckereien waren mehrheitlich sogar sonntags geöffnet, der reine Luxus.

Nach 3 Tagen erreichte ich das Aubrac Gebiet, ein Hochplateau im südwestlichen Zentralmassiv mit einer Durchschnittshöhe von ca. 1.000 Metern. Das Land wird als Weidefläche benutzt, die vielen Aubrac-Rinder sind gut an den langen Hörnern zu erkennen. Speziell die Stiere machten einen respekteinflössenden Eindruck. Landschaftlich empfand ich dieses Gebiet als eines der Highlights auf dem Weg, speziell bei Abendsonne wurden die flachen Weideflächen in ein sehr schönes Licht getaucht. Jedoch wurde es abends auch Ende Juni noch sehr kühl und windig. Zu essen gab es vor allem Linsen, eine lokale Spezialität. Normalerweise bin ich kein grosser Freund von Linsen, aber dort wurden diese in wirklich leckeren Variationen serviert.

Espalion war die nächste kleine Stadt dich ich erreichte. Die vielen Altstadthäuser, der Renaissancepalast und die gotische Brücke über den Lot luden zum Verweilen ein.  Da ich bereits am frühen Nachmittag eintraf, blieb mir genügend Zeit um das Städtchen zu besichtigen.

Am nächsten Tag erreichte ich Conques, für mich ein weiterer Höhepunkt des Weges. Vor der Ortschaft ist ein steiler, steiniger Abstieg. Mir fiel ein hagerer Pilger mit einem zu schweren und schlecht gepackten Rucksack auf. Später traf ich ihn wieder, es war Klaus-Dieter aus Deutschland. Vermutlich hatte er mal einen Schlaganfall, auf jeden Fall war die körperliche Koordination sowie die verbale Kommunikation sehr eingeschränkt. Er ging fast den ganzen Weg von Deutschland aus zu Fuss. Ich hatte grössten Respekt vor dieser Willensleistung, es rückte die eigene Leistungseinschätzung wieder etwas aufs richtige Niveau. Conques hat nur ca. 300 Einwohner und es gibt ausschliesslich alte Fachwerkhäuser, es kam einem vor, als wäre die Zeit stillgestanden. Übernachtet habe ich im Kloster, welches für ca. 100 Pilger sehr einfache, aber saubere Schlafgelegenheit anbietet. Ich begegnete hier erstmals einem Opfer von Bettwanzen. Das Opfer, eine junge Frau, sah aus, als hätte sie die Masern, lauter rote Punkte im Gesicht. Die Viecher müssen ziemlich eklig sein. Es ist auch nicht so einfach diese wieder los zu werden, aber im Koster fand sie top Unterstützung. So konnte sie sämtliche Kleider und das Gepäck waschen und bekam Kleidung während des Prozederes zur Verfügung gestellt. Zwar musste sie in einem separaten Zimmer schlafen, um sicherzugehen, dass sich die Viecher nicht weiter ausbreiten, aber das war wohl ihr kleinstes Übel. Glücklicherweise blieb es bei dieser einen Begegnung.
Abends konnte ich in der Klosterkirche Sainte-Foy (12. Jh.) der Vesper der Mönche des Prämonstratenserordens beiwohnen. Als ein Priester mein Stundenbuch sah, lud er mich ein, im Chor teilzunehmen. Danach gab es noch ein Orgelkonzert und man konnte die Kirche in spezieller Beleuchtung besichtigen.

Nach weiteren zwei Tagen erreichte ich Figeac, eine etwas grössere Stadt mit knapp 10‘000 Einwohner. Auf dem Weg in die Stadt erfuhr ich von anderen Pilgern, dass noch zwei Pilger aus Luzern unterwegs sind. Da die Tage doch sehr heiss waren, entschied ich mich in Figeac frühmorgens zu starten. Ich war offenbar doch etwas zu früh, es war noch dunkel und ich musste feststellen, dass der Weg auch mit Kopflampe sehr schwer zu finden ist, da die Markierungen in der Dunkelheit kaum zu sehen sind. Irgendwie schaffte ich es, auf dem Weg zu bleiben. Dieser führte nach Figeac einen recht steilen Hügel hinauf. O,ben angekommen wurde ich in akzentfreiem Luzerner Dialekt angesprochen. Es waren Esther und Michael. Ich frage Micheal warum er mich erkannte und er meinte nur, es sei offensichtlich, dass ich Schweizer währe. Nun ich hatte sicherlich keine Flagge oder Ähnliches dabei, aber mir ging es gleich, mit Zeit konnte man relativ gut einschätzen, woher ein Pilger kam. Es waren Kleinigkeiten wie etwa kulturelle Eigenheiten oder gewisse Markennamen, welche die Herkunft verrieten. Wir entschlossen uns die Tagesetappe zusammen zu gehen. Für mich war es herrlich, wieder mal unbekümmert im eigenen Dialekt zu sprechen. Ester und Michael machten mit den Kindern eine Woche auf einem Hausboot Urlaub und gingen danach eine weitere Woche auf den Jakobsweg. Später luden sie mich nach Luzern ein, es war sehr schön die gemeinsamen Erinnerungen aufzufrischen.

Vor Cahors traf ich Christian, ein Pilger aus Deutschland. Irgendwie stimmte die Chemie und wir entschlossen uns die Etappe bis Cahors gemeinsam zu gehen. Er war auch auf dem Weg nach Santiago, wollte aber noch ein Abstecher in ein buddhistisches Kloster machen. Auf jeden Fall hatten wir interessante Gespräche. In Cahors ging er wieder seines Weges und ich machte hier zwei Tage Pause. Cahor hat ca. 21‘000 Einwohner und bot eine gute Infrastruktur. So war es mir möglich, meine E-Mails zu prüfen und mich etwas über das Weltgeschehen zu informieren.
Ausgeruht ging es weiter auf dem Weg. In dieser Region trifft man auf viele Bastide (Wehrdörfer). Auch sonst waren die Spuren des 100 jährigen Krieges zwischen England und Frankreich (1337- 1453) immer noch sichtbar. Je nach Zustand der Bastide war ersichtlich, ob diese von einer Seite erobert wurde, wenn ja, war nicht mehr viel vom ursprünglichen Ort zu sehen und teilweise standen noch Ruinen. Dieser Krieg musste eine sehr wüste Sache gewesen sein.

Derweilen war es bereits Juni und der Sommer zeigte sich mit seiner ganzen Hitze. Obwohl die Strecke (aus meiner Sicht) topografisch eher leichter zu gehen ist, machte die Hitze doch etwas Mühe. Meiner Einschätzung verlor ich bei grosser Hitze ca. 30% der Leistung. Etwas speziell fühlte sich auf der Haut die Mischung aus Schweiss und Sonnenschutz an, irgendwie lockte diese die Bremsen scharenweise an, teilweise wirklich riesen Brummer. Zum Glück sind diese schwerfällig und so schaffte ich fast sechs auf einen Streich. Frisches Wasser konnte man auf den Friedhöfen finden, diese hatte immer einen Brunnen und das kühle Nass brachte etwas Erfrischung. Die Landschaft war vor allem durch die Landwirtschaft bestimmt. Es war herrlich durch die ausgedehnten Rebenfelder oder Sonnenblumenfelder zu gehen.

Besonders imponiert hat mir auch das kleine Dorf Larressingle aus dem 13. Jh. Die Festungsmauer, der Burggraben, die Zugbrücke und die Schiessscharten sind noch bestens erhalten. Optisch sieht es vermutlich nicht viel anders aus als vor einigen Hundert Jahren.

Etwa 3-4 Tagesetappen vor Nagaro kam ich in einer Herberge mit einem Pilger ins Gespräch, welcher mir abriet in Nagaro zu übernachten. Als Grund führte er den Lärm der nahe gelegenen Rennstrecke (Circuit Paul Armagnac) an. Für mich war dies ein Grund genau dort zu übernachten. Da ich an einem Sonntag am frühen Nachmittag eintraf, erhoffte ich mir ein Rennen auf der Strecke zu sehen. Und tatsächlich fand ein Motorradrennen im Amateurbereich statt. So verbrachte ich den Nachmittag an der Rennstrecke bei kühlem Bier. Zwar hatte es Sicherheitsleute an der Strecke, aber mit einem guten Timing war der Zutritt eigentlich überall möglich.

Nach und nach rückten die Pyrenäen immer näher und somit auch Jean-Pied-de-Port. Zuvor gab es noch riesige Maisfelder zu durchqueren. Einen ganzen Tag nur durch Maisfelder zu gehen war auch etwas speziell, man sieht nur geradeaus und kann nur anhand der Zeit in etwa abschätzen, wo man ist. Glücklicherweise war dies rasch vorüber und die Topographie wurde wieder hügliger und in der Ferne waren die Gebirgszüge der Pyrenäen zu sehen. Landschaftlich erinnerte mich dieses Gebiet sehr stark an die Schweiz, die Berge und das saftige Grün der Wiesen.

Am 19.07.2009 erreichte ich endlich Jean-Pied-de-Port am Fuss der Pyrenäen, das Ende der Via Podiensis. In dem Städtchen war ziemlich viel los, viele Pilger starten von hier aus den Jakobsweg, entsprechend gut war das Angebot an Herbergen zu fairen Preisen. Ich gönnte mir eine zweitägige Pause, damit ich die Strecke über die Pyrenäen frisch in Angriff nehmen konnte. Gerne schaute ich dem Treiben in der Stadt zu und besorgte in aller Ruhe einige Kleinigkeiten. Innerlich habe ich mich so gut auf die vielen Pilger eingestellt. Zwar nahm der Strom von Pilger auf der Strecke nach und nach zu, aber trotzdem konnte man doch recht gut alleine gehen, mir wurde klar, dies wird definitiv nicht mehr so sein. Auf jeden Fall habe ich mich körperlich bestens regenerieren und mental auf den weiteren Weg eingestellt.

Hier einige visuelle Eindrücke dieser Route: