Jakobsweg Camino Frances

Am 21.07.2009 war es soweit, Spanien war nicht mehr weit, nur noch die Pyrenäen lagen dazwischen. Der höchste Punkt ist auf 1430 m, hört sich nicht nach viel an, zu berücksichtigen ist jedoch, die Ausgangshöhe von nur 165 m. Irgendwie begann der Morgen in Saint-Jean-Pied-de-Port speziell, unverdientermassen hatte ich den Schlaf des Gerechten, als ich erwache, war die Herberge bereits leer. Ich liess mich nicht stressen, gönnte mir ein feines Frühstück und startete in aller Ruhe. In Saint-Jean-Pied-de-Port war es ziemlich ruhig, der Grossteil der Pilger war bereits gestartet und so war ich anfänglich fast alleine unterwegs. Die Etappe begann gleich bergauf und ich bemerkte schnell wie Fit ich war. Offenbar entfalteten nun die 1300 zurückgelegten Kilometer ihre Trainingswirkung. Ich überholte eine Pilgergruppe nach der Anderen. Der Weg war recht steil aber sehr gut begehbar, der erste Teil des Aufstiegs ist asphaltiert. Einzig ein starker, turbulenter Wind erschwerte das Ganze, Wasserlassen war nicht angesagt. Sehr bald erreiche ich die Passhöhe und gönnte mir eine kurze Pause. Imponiert haben mir insbesondere die Geier, gegen 30 Stück dieser Riesenvögel kreisten in der Thermik am Himmel, ein imposantes Bild. Am frühen Nachmittag erreichte ich mein Ziel in Roncesvalles, ich war einer der erste am Ziel. Viele Pilger des Camino Francés starten ihren Pilgerweg in Saint-Jean-Pied-de-Port oder in Roncesvalles, ich hatte also einen erheblichen Trainingsvorteil.

In Roncesvalles übernachtete ich in der kirchlichen Herberge, diese ist in einem mittelalterlichen Saal mit ca. 120 Betten, welche alle ausgebucht waren. Dank der guten Akustik war das Schnarch-Konzert ein spezielles Erlebnis. Glücklicherweise gehören Oropax zu meinem Standardreisebegleiter und erleichterten die kommenden Wochen massiv. Vermutlich liess ich mich deshalb nie von den Irren, welche nachts um 3 Uhr ihren Rucksack packen und aufbrechen, aus der Ruhe bringen.
Gegenüber dem bisherigen Weg ändert sich die Atmosphäre grundlegend. Nicht nur massiv mehr Pilger waren auf dem Weg, sondern es wurde auch internationaler, man traf Menschen aus der ganzen Welt. Für die Übernachtungen gibt es in Spanien eine Vielzahl von Herbergen. Die Unterkünfte sind eher bescheiden (es gibt Ausnahmen). Die Massenunterkünfte erinnerten mich ein wenig an meine Rekrutenzeit, entsprechend sind die sanitären Anlagen eher bescheiden, meist jedoch auf einem akzeptablen Niveau.

Das Essen nahm ich üblicherweise in einem Restaurant im Ort ein, oftmals werden Pilgermenus zu einem fairen Preis angeboten. Alternativ gibt es in vielen Herbergen auch Kochgelegenheiten um sich selbst was zu bereiten.
Tagwache war ca. um 06.00 Uhr mit der frühen Dämmerung. Wegen der grossen Hitze ist es ratsam, spätestens um 14:00 Uhr im Ziel einzutreffen und sich mit einem frischen Bier abzukühlen. Frühstück gibt es in Herberge nicht, die Infrastruktur auf dem Weg ist jedoch sehr gut ausgebaut und vielfach ist eine Bar oder Restaurant in der Nähe. In der Not half zwar auch Necscafe in der Herberge, aber ein Kolbenkaffee ist durch nichts zu ersetzen.

Schon in den ersten Tagen lernte ich eine Vielzahl von Pilger kennen. Leider gingen die wenigsten den ganzen Weg, sie waren für ca. 14 Tage unterwegs und machen so jährliche Abschnitte. Nach 6 Tagen in Spanien bei Telles del Rio traf ich auf einen Pilger mit einem grossen, braunen Vaude Rucksack, geschätzte 20 kg. Dieser konnte nur von einem verrückten getragen werden. In der Tat, zufällig traf ich wieder auf Christian, in Frankreich gingen wir bereits eine Etappe zusammen. Er wollte eigentlich für einige Wochen einen Abstecher in ein buddhistisches Kloster machen. Das Ganze entwickelte sich nicht wie gewollt für ihn, also ging er weiter den Jakobsweg. War wirklich witzig sich wieder zu treffen. So ergab es sich, den weiteren Weg zusammen in Angriff zu nehmen. Später traf noch Sabine dazu, sie lerne ich in Roncesvalles kennen, wir sassen beim Nachtessen am gleichen Tisch, etwa zu acht und stellten einander vor.
Weitere Pilger stiessen zur Gruppe, etwas John, ein Texaner südkoreanischer Herkunft. Die Schuhe vom Versandhandel und bei Etappenstart das erste Mal probiert. Er litt. Viele weitere könnte man aufzählen. Gemeinsam nutzen wir vermehrt die Kochgelegenheiten in den Herbergen, es entstand eine Art Arbeitseinteilung, einige kauften ein und Christian kochte, dies konnte er echt gut.

Die nun zurückgelegten (ca.) 1900 km waren meinen Schuhen gut anzusehen. Üblicherweise bei mir gut am inneren, hinteren Teil der Sohle zu erkennen, die war definitiv durch. Ich wollte kein Risiko eingehen und kaufte mir ein neues Paar. Zur Sicherheit trug ich die Alten eine Tagesetappe mit, dies wäre nicht notwendig gewesen, denn die Neuen passten perfekt und es gab auch weiterhin keine Blasen. Wie ich die letzten Wochen feststellte habe ist dies bei den meisten Menschen nicht üblich.

Bald erreichten wir Burgos, danach ging es durch die Meseta (sehr flache Hochebene) nach Leon. Offenbar haben viele Pilger vor dem flachen und kahlen Gelände Respekt, einige nehmen den Bus. Ich ging diese Etappen ohne Vorurteile an. Durch die Ebene erreichten wir einen sehr hohen Schnitt, ca. 6.5 – 7 km/h, recht zügig und John litt noch mehr. Besonders Sabine hatte einen strammen Schritt, mir gefiel das Tempo. So kamen wir zügig voran und erreichten das Tagesziel jeweils kurz nach Mittag. Am Nachmittag wurde es extrem heiss und die Hitze liess sich im Schatten bei kühlem Getränk am besten aushalten.
Mir imponierte die Meseta. Nichts lenkte ab und der Kopf wurde frei, man musste sich nicht mal Gedanken bezüglich Routenverlauf mache. Morgens und abends war das Licht mit den warmen Tönen perfekt zum Fotografieren. Nach und nach wurde es wieder hügeliger und grüner. Vor Ponferrada ging es auf ca. 1500 m hoch und wir übernachteten kurz vor der Passhöhe. Am nächsten Morgen erreichten wir nach etwa 30 Minuten das Cruz de Ferro, perfekt in der frühen Morgendämmerung. Auf das Crux de Ferro habe ich mich innerlich bereits gefreut, einer der persönlichen Meilensteine, den ich mir beim Start gesetzt habe. Das Cruz de Ferro ist ein kleines Eisenkreuz auf einem Holzpfahl. Der Ursprung liegt im Dunkeln, vermutlich geht es auf die Römer zurück. Sicher ist, dass seit Jahrhunderten die Pilger am Kreuz einen Stein niederlegen. Ich hatte einen von zu Hause mitgetragen, zugegeben, nicht allzu gross. Es war eine sehr schöne, ruhige Atmosphäre, jeder allein verbrachte 2-3 Minuten beim Kreuz. Kaum waren wir durch, trafen die ersten Gruppen ein und tanzten um das Kreuz, es wurde laut und es blieb die Erkenntnis: Unser Timing war perfekt.

Wir kamen Galicien immer näher, es mussten noch einige Höhenmeter bewältigt werden. Optisch wurde es der Schweiz ähnlich, vor allem das saftige Grün. Ich war auf das Wetter gespannt, der Atlantik hat einen grossen Einfluss auf diese Region, etwa wie in England, einfach viel wärmer. Morgens hatte es oft dichten Nebel, der sich gegen 10.00 Uhr auflöste und die Temperaturen waren nun viel moderater. Die Pilgerzahl nahm nochmals markant zu. Um die Pilgerurkunde zu bekommen, reicht es 100 km nach Santiago zu gehen. Offenbar machen sehr viele davon Gebrauch. Bei Sarria wurde es massiv, etliche Pfadfindergruppen und sonstige Vereine mischten sich zu den Pilgern, die Strassen waren voll, wirklich voll.

Von vielen hörte ich, dass jeder auf dem Weg mal in ein Loch fallen würde. Ich war mir bereits sicher dies nicht erleben zu müssen. Ich kann nicht beurteilen an was es lag, den vielen Pilger oder etwa Müdigkeit? Wer weiss, auf jeden Fall bereitete mir der Weg plötzlich sehr viel Mühe. Ich entschied, den Rest bis Santiago alleine zu gehen. Äusserst ungern nahm ich von Christian, Sabine und den anderen Abschied. Als Gegenmassnahme ging ich jeden Tag nur noch ca. 15 Km und nahm mir richtig Zeit inkl. Ausschlafen. Es half ein wenig. Die ca. 100 km bis Santiago kämpfte ich mich mental so durch.
Am 22.09.2009 erreichte ich endlich Santiago. Von da an ging es mental rasant aufwärts. Ich nahm ein Hotelzimmer und blieb drei Tage in Santiago, schauten dem lebhaften treiben zu.

Ein komisches Gefühl, nach all der Zeit das Ziel zu erreichen, nach 3 Monaten ist man einfach da. Vor mir lag nun die Heimreise, eine neue Wohnung beziehen, einen neuen Job suchen. Vieles war offen.

Davor wollte ich es mir aber nicht nehmen lassen, zu Fuss noch an den Atlantik zu pilgern, nochmals einige Kilometer machen und den Weg richtig zelebrieren.

Hier einige visuelle Eindrücke des Camino Francés: